Der Gertrudisbrunnen vor 1974
Der Gertrudisbrunnen vor 1974

Aus der Geschichte des Gertrudisbrunnens Biskirchen

von Gerhard Scharf

Der Gertrudisbrunnen, die älteste Mineralquelle in der Gemarkung Biskirchen, besteht seit Menschengedenken und dürfte wohl schon im Mittelalter existiert haben. Erste schriftliche Hinweise erhalten wir aus dem Jahr 1601, nachgewiesen in den Biskirchener Gemeinderechnungen im Fürstlichen Archiv Braunfels. Hier ging es um Verkauf von Birnen, die an dem „gemeinen wilden Brunnen“ wachsen. Damit haben wir auch schon die erste Bezeichnung des Brunnens. Im Jahre 1650 trafen sich die Weilburger und Greifensteiner Grafen an besagtem Brunnen, um Weidegeldstreitigkeiten auszutragen. In dieser Prozessakte des Reichskammergerichts in Wetzlar aus dem Jahre 1655 geht erstmals die Bezeichnung „Sauerbrunnen“ hervor. Dieser hatte wohl schon früh eine Fassung. Das bezeugen verschiedene Ausgaben in den Gemeinderechnungen im Fürstlichen Braunfelser Archiv.

 

Aus diesem Aktenbestand wissen wir auch, dass verschiedene Arbeiten am Brunnen durchgeführt wurden. Hier ist besonders das Brunnenputzen im Jahre 1716 nachgewiesen, das sich jährlich an Pfingsten wiederholte. Im Anschluss an diese Arbeiten schloss sich ein munteres Brunnenfest an. Jugendliche zogen mit einem bunten Kranz, später mit Krügen, die sie an langen Stangen trugen, durch den Ort um Eier und Speck zu sammeln, die anschließend in einer Gaststätte verzehrt wurden.

Der „Born“, wie er im Volksmund genannt wurde und auch heute noch genannt wird, hatte schon, wie oben bereits erwähnt, früh eine hölzerne Fassung bestehend aus Eichenbalken, die in Kreuzform angebracht waren. Dadurch entstanden vier Öffnungen. Wie uns unser ehemaliger Heimatforscher Rudolf Anschütz (1908 – 2001) hinterlassen hat, soll eines der Öffnungen nur den um 1750 in Biskirchen lebenden Juden vorbehalten gewesen sein. Die anderen drei Öffnungen waren ihnen verwehrt.

 

Man versuchte schon damals durch Verkauf des Wassers bescheidene finanzielle Einnahmen zu erzielen. Ab 1783 trug ein Peter Storm Sauerwasser aus. U. a. belieferte er einen Herrn Doppelhammer aus Wetzlar. Der Vertrieb des Wassers bot auch einigen Minderbemittelten wie dem Gelegenheitsarbeiter Johann Alter, der als Nachtwächter und Schweinehirte einen Teil seines Lebensunterhalts bestritt, einen kleinen Nebenverdienst. Er brachte 1854 mit einem Ziegenbockgespann dreimal wöchentlich Mineralwasser nach Wetzlar.

Inserat von Johann Alter im Wetzlarer Kreis- und Anzeigenblatt vom 21. 7. 1854
Inserat von Johann Alter im Wetzlarer Kreis- und Anzeigenblatt vom 21. 7. 1854

Im Jahre 1858 nahm das Brunnenputzen ein tragisches Ende. Heinrich Scharf (Maurer) war mit anderen Leuten für diese Arbeit eingeteilt worden, unter ihnen auch der 44-jährige Ludwig Jacob Scharf.

Dieser erstickte, als er mit der Leiter in den Schacht gestiegen war, durch die starke Kohlensäurebildung. Ein Kollege, Wilhelm Schröder, wollte ihm noch zur Hilfe eilen. Auch er wurde ohnmächtig, konnte aber noch am Leben erhalten werden.

Das war aber nicht der einzige Unfall an der Quelle. Bereits acht Jahre zuvor hatten Passanten bemerkt, dass ein Kind in den Brunnen gefallen war und konnten es noch lebend herausholen. Hier kommt das viel zitierte Sprichwort, das Kind muss erst in den Brunnen fallen, wörtlich zum Tragen.

 

Am 22.3.1854 befasste sich der Verein für Landwirtschaft und Gewerbe im Kreis Wetzlar in ihrer Jahreshauptversammlung mit dem Biskirchener Sauerbrunnen. Man hatte die Wasser von Biskirchen und Schwalbach vom chemischen Laboratorium in Gießen untersuchen lassen. Das Ergebnis: Das Gehalt der Schwalbacher Quelle ist an mineralischen Stoffen nicht bedeutend, aber derjenige der Biskirchener beachtenswert. Nur müsse sie besser gefasst werden, um die mangelhafte Quellenfassung durch eine bessere zu ersetzen, damit sie vor Unreinlichkeiten und dem Zufluss von Tage- und sonstigen Süßwassern bewahrt wird. Dann wäre für den Kreis eine kostbare Naturgabe für die Gesunderhaltung bzw. Wiedergenesung der Menschen gegeben.

 

Nach etlichen Beratungen kam die Gemeinde 1856 diesem Gutachten entgegen und ließ einen steinernen Aufsatz auf die alte Holzeinfassung fertigen. Diese Maßnahme hatte aber zur Folge, dass das Wasser weder ab noch zulief. Zur Beseitigung dieses Missstandes wurde der Steinaufsatz größtenteils wieder beseitigt. Die Untersuchungen des Sauerbrunnens durch Prof. Will, Gießen, ergaben, dass das Wasser reich an mineralischen Stoffen ist. Daraufhin beantragte der Gemeinderat beim Königlichen Bergamt zu Wetzlar, Mutungen  auf den Brunnen vorzunehmen.

Gleichzeitig wurden die nötigen Schritte hierzu bei Königlichem Bergamt eingeleitet, so dass nach den Berggesetzen die Gemeinde Eigentümerin, sowohl des Brunnens, als auch in der Umgebung befindlichen Mineralwassers, blieb.

Die Fassung des Brunnens bereitete aber weiterhin Probleme. Der damalige Landrat Gustav von Diest zog im Jahre 1865 kompetente Persönlichkeiten wie Prof. Phoebus (Gießen), Dr. Bischof (Koblenz) und den Geheimen Hofrat Fresenius (Wiesbaden) zu Rate.

Einem Beschluss des Gemeinderats vom 14. Juli 1865 zu Folge, sollte der Brunnen einen Fuß tiefer gelegt und ein Abzugsgraben hergestellt werden. Außerdem war vorgesehen, den Brunnen mit Eisengitter zu sichern und mit einem Brettergebäude zu umbauen. Der Beschluss ging auch da hinaus, den Brunnen ab sofort zu verschließen und einen Aufseher anzustellen, welcher den Brunnen wieder zugänglich zu machen hatte, wenn jemand Wasser holen wollte. Auswärtige sollten für den Krug einen Kreuzer bezahlen. Dagegen blieb für Biskirchener Einwohner das Wasser für ihren Bedarf kostenlos. Wir wissen heute nicht, ob dieser Beschluss auch so umgesetzt wurde.

 

1865 wurde auf Initiative von Gemeindevorsteher Frankenfeld bei dem Berggeschworenen Riemann in Wetzlar die Mutung am Sauerbrunnen nach Salzgewinnung beantragt. Am 30.10. wies das Königliche Oberbergamt Bonn das Ansinnen wegen zu geringem Gehalt an festen Bestandteilen zurück.

Um die kommerzielle Nutzung der Quelle weiter voran zu treiben, gründete 1872 Pfarrer Wetz in Zusammenarbeit mit dem „Landwirtschaftlichen Kreisverein“ die Genossenschaft „Landwirtschaftliches Casino zu Biskirchen“. Vorsitzender wurde Heinrich Wilhelm Zutt (Vater unseres Heimatforschers Heinrich Zutt). Pfarrer Wetz fungierte als Sekretär und Lehrer Georg Tiers als Beisitzer.

 

Durch ihre Bemühungen fand auch der Fürst zu Solms – Braunfels Interesse an dem Brunnen. In einem Gutachten des Königlichen Bauinspektors a.D. Architekt Malm vom 12.10.1872 wurde erneut die Fassung  des Brunnens bemängelt und eine Neufassung für erforderlich gehalten.

 

Am 12.08.1873 traf der Gemeinderat Biskirchen mit dem Beschluss, den Brunnen an den Fürsten zu Solms-Braunfels zu verpachten, eine zukunftsorientierte Entscheidung. Der über 70 Jahre laufende Pachtvertrag zwischen der Gemeinde Biskirchen und dem Fürstlichen Haus trat am 12. 5. 1874 unter der Maßnahme in Kraft, dass der Fürst die Neufassung der Quelle durchzuführen hatte. Im Gegenzug durfte er das umliegende Gelände frei nutzen. (Weitere wichtige Bestimmungen des Vertrages siehe Geschichtsbuch Biskirchen, Bissenberg und Stockhausen 1994 auf Seite 368 ff).

 

Nach der Vertragsunterzeichnung begannen zügig die Arbeiten der notwendigen Neufassung des Brunnens. Dabei stellte sich als Neuerkenntnis heraus, dass er vier kleine Zuflüsse aus verschiedenen Richtungen hat, und einer dieser Zuflüsse sehr eisenhaltig ist, was für die Trübung des Wassers verantwortlich zeichnete. Mit dieser Gesamtmaßnahme, dazu gehörte auch der Bau des Brunnenquellenhäuschens, wurde das Problem der Brunnenfassung endgültig beseitigt. Die Fürstliche Brunnenverwaltung konnte noch im Jahr 1874 mit dem Verkauf von Biskirchener Mineralwasser, das einen hervorragenden Ruf erlangte, beginnen. Es wird den alkalisch-muriatischen (kochsalzhaltigen) Säuerlingen zugeordnet.

 

Die Fürstliche Brunnenverwaltung setzte u. a. durch Annoncen im Wetzlarer Anzeiger eine gezielte Werbekampagne durch. Hier einige Beispiele:

 



Ausschreibung

Ausschreibung zum Bau des Brunnenhauses mit Magazin vom 25.3.1875 durch den Königlichen Bauinspektor Malm, Wiesbaden

Geschichtsbuch von 1994 Seite 369

In dieser Annonce vom 16.8.1883 erscheint zum ersten Mal die Bezeichnung Gertrudis – Brunnen.

Patin bei der Namensgebung stand die selige Gertrud von Altenberg (geb. 1227, gest. 1297, Klostervorsteherin ab 1248), Tochter der Heiligen Elisabeth von Marburg

Der Fürst investierte viel Geld in den Betrieb. Im ersten Bauabschnitt 1875 entstand unter Baumeister Ernst Malm das Brunnenhaus mit Magazin (= Verwaltungsgebäude ohne Eckturm). Im zweiten Bauabschnitt erfolgte dann die Vollendung des Verwaltungsgebäudes u. a. mit der Errichtung des Eckturms zu einem komfortablen Wohn- und Verwaltungsgebäude durch den Fürstlichen Baumeister Carl Seiler. Der Bau des Quellenhauses und des Kutscherhauses sind auch in etwa in das Jahr 1885 einzustufen.

Eines der ersten Abbildungen des Gertrudisbrunnens. Rechts das Bornhäuschen (Quellenhäuschen) und links das Wohn- und Verwaltungsgebäude (aus: Woerl’s Reiseführer, 1893)

Etwa 1900: Das komfortable Wohn- und Verwaltungsgebäude (Archiv HAK)

Das 1885 errichtete Quellenhäuschen mit dem Treppenabgang an der Ostseite (Archiv HAK)

Weitere Kosten entstanden im Wesentlichen für die Quellenfassung, Ausstellungen in Frankfurt und Berlin, sowie der Einrichtung eines Depots in Düsseldorf und eine Ausstellung in London samt Bau eines Pavillons. Bis 1884 betrug der Betriebsverlust insgesamt 84.642,71 Mark. Das Geschäft lief nicht nach den Vorstellungen der Brunnenverwaltung. Sie war nicht imstande den festgelegten Gewinnanteil in Höhe von 33 1/3 % an die Gemeinde Biskirchen abzuführen.

 

Die Brunnenverwaltung versuchte weiter, das Geschäft auszuweiten und durch Inserate anzukurbeln



  (Abbildungen 1 – 6 und  10 - 14 aus mikroverfilmten Zeitungen im Historischen Archiv der Stadt Wetzlar)

Der Unternehmungsgeist des Fürstlichen Hauses ging so weit, dass eine Kuranstalt geplant war. Dazu sollte die Gemeinde eine einmalige Abfindungssumme erhalten. Dieses Vorhaben wurde bei der Bevölkerung sehr konträr diskutiert. Letztendlich willigte die Gemeinde dem Ansinnen des Fürsten zu. Der § 9 des Pachtvertrages wurde wie folgt geändert.

 

Zitat:

Die Zeit des Benutzungsrechts dauert bis zum 3. Juni 1944. Die Gemeinde verzichtet auf den Gewinnanteil 1/3 des Reinertrags der Brunnenausbeute, dagegen zahlt Fürstliche Rentkammer sofort nach erfolgter Genehmigung des Vertrages der Gemeinde Biskirchen eine Abfindungssumme von 6000 Mark.

 

Dieser Geldbetrag kam der Gemeinde für den bevorstehen Schulbau sehr gelegen. Aber sie  hatte fortan keine Einnahmen mehr vom Brunnen. Die Angelegenheit stellte sich aus Sicht der Gemeinde als einen großen Fehler heraus. Der Fürst wollte aber als Besitzer über die Quelle frei verfügen, um seine Vorhaben ein Bad zu errichten, was übrigens auch später von unserem Heimatforscher Heinrich Zutt noch einmal geplant war, zu verwirklichen. Mit anderen Worten, der Fürst wollte den Brunnen von der Gemeinde kaufen und bot jeder Familie 10 Mark an. Diesen Erwägungen stimmte die Gemeinde nicht zu und lehnte den Verkauf ab. Das Vorhaben des Fürsten war gescheitert. Aber er investierte durch Erweiterung des Betriebes mit dem Bau zusätzlicher Gebäude (u. a. Abfüllanlage) und Anschaffung von Maschinen weiter in das Unternehmen. Erforderlich geworden war das durch die im Jahre 1906 gegründete „Gertrudis Importing Companie“ in Buffalo / USA, die eine große Versandziffer aufwies.

 

Der Fürst, der sich von der Gemeinde unabhängig machen wollte, ließ im Jahre 1906 in unmittelbarer Nähe der Gertrudisquelle auf eigenem Gelände einen weiteren Brunnen, den Gertrudis – Sprudel, in einer Tiefe von 65 m und einer Schüttung von 122 l/min erbohren. Auf Wunsch der fürstlich Solms-Braunfels’schen Rentkammer führte. Dr. H. Fresenius (Geh. Regierungsrat und Professor) eine umfangreiche Chemische und Physikalisch - Chemische Untersuchung durch. Abschließend stellte er in einer kurzen Zusammenfassung unter anderem fest, dass der Gertrudis – Sprudel gegenüber dem Gertrudisbrunnen viel schwächer mineralisiert ist. Das Wasser des Gertrudis – Sprudels bezeichnete er als wertvoll und empfehlungswert, das sowohl in rein natürlichem Zustand als auch als Tafelwasser Verwendung finden kann, und darüber hinaus als Heilquelle eine gewisse Bedeutung haben wird. Heute speist das Wasser des Gertrudis - Sprudels das mineralische Thermalbewegungsbad der Parkinson – Klinik.

Am 1. August 1906 erschien diese Anzeige im Weilburger Tageblatt (Archiv HAK)

Trotz des Aufwärtstrends des Brunnenunternehmens suchte die Fürstliche Brunnenverwaltung eine andere Lösung. 1911 verpachtete sie den Brunnen an den Biskirchener Schmiedemeister Wilhelm Volk. Dieser hatte einen günstigen Einstieg in das Unternehmen, weil das Hitzejahr 1911 viele durstige Kehlen hervor brachte.

Von dem etwa 150 Meter östlich vom Gertrudisbrunnen gelegenen Spenglerborn (auf dem heutigen Grundstück Erhard Simon, Hüttenstraße 25), soll nur so viel gesagt werden, dass das Süßwasser u. a. zum Spülen der leeren Wasserflaschen und zur Herstellung von alkoholfreien Getränken wie Apfel- Himbeer- und Zitronenlimonade Verwendung fand.

(Repro-Foto: Heimatkundlicher AK Biskirchen/ Archiv)

Die Gesamtansicht aus östlicher Richtung. Rechts die Abfüllhalle und dahinter das Kutscherhaus.

Eine gelungene Aufnahme unseres Heimatforschers Rudolf Anschütz

(1908 – 2001):


Links das Wohn- und Verwaltungsgebäude und rechts das Brunnenhäuschen mit der alten Linde, die auf etwa 700 Jahre geschätzt wurde, und 1974 ihrem hohen Alter Tribut zollte, indem sie Not gefällt werden musste.

(Foto: Archiv HAK)

Etwa um das Jahr 1920 riefen der Pächter des Gertrudisbrunnens, Wilhelm Volk, und der Besitzer der Biskirchener Heilquelle Karlssprudel, Karl Georg Broll, mit dem Brunnenlauf eine zugkräftige Sportveranstaltung ins Leben, die eine Tradition erlangte und es wird versucht, ihn heute, wenn auch in geänderter und abgespeckter Form, noch am Leben zu erhalten. Karl Georg Broll war 1908 Gründer des Turnvereins Biskirchen. Der Brunnenlauf, ein Staffellauf mit Start und Ziel am Gertrudisbrunnen mit dem Wendepunkt an der Heilquelle Karlssprudel, bedeutete für den Turnverein eine sportliche Attraktion und war für beide Brunnenunternehmen eine werbewirksame Veranstaltung. Sie wurde vom Sportverein auch weiter geführt, nachdem Wilhelm Volk am 6. 6. 1926 verstorben war.

Start zum Brunnenlauf am Gertrudisbrunnen (Sammlung TSG/ Archiv HAK)

Nach seinem Tod verlängerte die Fürstliche Verwaltung den Brunnen für ein Jahr an seine Witwe. Am 1.4.1927 pachtete Karl G. Broll bis zum Ablauf der Pachtzeit im Jahre 1944 das Unternehmen. Im gleichen Jahr übernahmen Wilhelm Volks Tochter Elisabeth Volk und deren Ehemann Heinz Gruber zusammen mit seinem Sohn Hermann Volk die Generalvertretung (Gruber & Volk) des Brunnens. Als Karl G. Broll den Betrieb übernahm betrug der Umsatz von Mineralwasser und Limonaden eine knappe Mio. Füllungen, die er jährlich auf zwei Mio. steigern konnte.

Im August 1943 musste der Gertrudisbrunnen auf Anordnung des zuständigen Landesernährungsamtes einen Pflichtvorrat von 5000 Flaschen bereit halten. Dieser Vorrat galt als beschlagnahmt und galt für den Wassernotstand, der durch Bombenangriffe hervorgerufen wurde.

Flaschenetikett während der Pachtzeit von Karl Broll  (Archiv HAK)

Karl G. Broll starb am 15.9.1940. Der Pachtvertrag vom 12.5.1874, der nach 70 jähriger Laufzeit 1944 auslief, ging  für den Rest dieser Zeit an seinen Sohn Karl W. Broll über. Bei den Verhandlungen über eine Verlängerung der Pacht kam es zu einer ungewöhnlichen Entscheidung, die vorsah, dass die Pacht bis zwei Jahre nach Friedensschluss andauern soll. Aber, wie wir alle wissen, kam er nicht zustande. So dauerte es bis 1956, dass auf Initiative des Fürstlichen Hauses neue Vertragsverhandlungen stattfanden, die Karl. W. Broll veranlassten, 1964 aus dem Betrieb auszusteigen.

Der Grund war, dass der Fürst das Doppelte an Pachtsumme als seither verlangte. Daraufhin investierte die Fürstliche Rentkammer etwa eine halbe Million DM in das Unternehmen und führte es in eigener Regie unter dem Namen „Gertrudisquelle KG“ weiter. Aber es fehlten das notwendige Know-how und auch ein fester Kundenstamm, weshalb Ende 1966 der Betrieb wieder eingestellt wurde. Am 13.12.1966 kam  ein neuer gemeinsamer Pachtvertrag zwischen dem Fürsten und den drei Brunnenbetrieben  Karl Broll (Biskirchener Karlssprudel), der Blaue Quellen AG (Neuselters) und dem Selters – Sprudel (Löhnberg) zustande. Diese Konstellation hatte allerdings keine Zukunftschance. Die drei Pächter legten den Betrieb 1967 still.

 

Im Jahre 1960 war der Vertrag zwischen der Gemeinde und der fürstlichen Verwaltung bis zum Jahre 1979 verlängert worden. Es wurde eine Pachtsumme von jährlich 6000 DM vereinbart. Einer enthaltenen Klausel zufolge konnte diese Pachtsumme aber bei einem jährlichen Umsatz von unter 2 Millionen Füllungen um die Hälfte gekürzt werden. Dass bei oben geschilderten Irrungen und Wirrungen diese Menge nicht erzielt werden konnte, war eine logische Folgerung und wirkte sich für die  Einnahmen der Gemeinde bzw. der neuen Stadt Leun negativ aus. Sie war aber an den 1979 auslaufenden Vertrag gebunden. Dadurch war die Nutzung des Geländes für den Fremdenverkehr, der zu dieser Zeit forciert wurde, vorerst nicht möglich. Als Biskirchen im Jahre 1969 das Prädikat „Staatlich anerkannter Erholungsort“ erhielt, spielte der Gertrudisbrunnen noch eine übergeordnete Rolle.

Mit Ausnahme einer Lagerhalle in welcher sich auch der Brunnentempel des Gertrudis – Sprudels befand und die die Vereine für Festveranstaltungen nutzen durften, sowie dem Brunnenhäuschen, begannen die übrigen Gebäude allmählich zu vergammeln. Von dem einst prächtigen Gebäudekomplex wurde ein Schandfleck, der auch Gefahrenmomente schuf. Allerhand Gesindel fand sich dort ein und hauste wie die Vandalen. Fenstern und Türen wurden eingeschlagen und alles, was nicht Niet- und Nagelfest war, zerstört.

 

Jugendliche hatten sich sogar in einem versteckten und schwer zugänglichem Speicherraum ein mit einer Liege ausgestatteten Liebesnest eingerichtet.

Wenn die Vereine die Hallen für ihre Festveranstaltungen nutzen wollten, mussten sie vorher viele Aufräumungs- und Säuberungsarbeiten leisten. Das kam der Fürstlichen Verwaltung sehr gelegen. Sie stellte den Vereinen die Hallen auch kostenlos zur Verfügung.

1983 hatte ein Zirkus überwintert und in der Abfüllhalle Elefanten untergebracht. Für die Herrichtung des Festplatzes zum 75-jährigen Jubiläum der TSG Biskirchen musste der Verein diese Halle vom Streu und Elefantenkot reinigen. Unser Bild zeigt Jochen Fischer und Michael Straßheim bei dieser Drecksarbeit  (Sammlung TSG/ G. Scharf)

Die Lagerhalle wurde indes zu einem schmucken Festsaal hergerichtet  

(Foto: Sammlung TSG/ G. Scharf)

Am Erhalt des Brunnenhäuschens war der Gemeinde viel gelegen. In den Jahren 1968/69 nahm sie umfangreiche Sanierungs- und Umbauarbeiten am Gebäude und den Außenanlagen vor. Der Zugang zur Zapfstelle war seither von der Ostseite durch einen Treppenabgang in den Keller möglich. Dieser Abgang wurde entfernt und die Zapfstelle westlich vor dem Gebäude neu angebracht. Damit war nicht nur das unbequeme Zapfen des Borns erleichtert, sondern auch der Hygiene Rechnung getragen. Außerdem wurde im neu gestalteten mit Klinkern versehenen Innenraum des Quellenhäuschens eine Zapfstelle mit Brunnentempel, wo man das hervorsprudelnde Wasser erkennen konnte, installiert. Damit waren Voraussetzungen für Trinkkuren geschaffen, wie man sie in Kurbädern vorfindet.

So sah  der überdachte Treppenabgang an der Ostseite vor der Sanierung aus. (Foto: Archiv HAK)

Der Anblick ca. 1969 nach der Sanierung (Foto: Archiv HAK)

Die Zapfstelle unter der uralten Linde aus westlicher Richtung nach der Sanierung (Foto: Archiv HAK)

Labsal am „Born“ 1969 an der Zapfstelle im Inneren des Bornhäuschens

Rechts erkennen wir Eckhart Kamps, Elsbeth Schäufler geb. Nadler und Emma Tröller geb. Scharf (Foto: Archiv HAK)

Das Brunnenhäuschen in den 1980er Jahren. (Foto: Willi Späth)

Neu war eine Pergola. Die neu gepflanzte Brunnenlinde wuchs schon prächtig heran.

Im Jahre 1967 erstellten die Professoren Herr Dr. Schoger aus Bad Kreuznach und Herr Dr. Evers, Bad Nenndorf ein ärztliches Gutachten über die Heilwirksamkeit des Gertrudisbrunnens, mit dem Ergebnis, dass das Wasser heilende Wirkung auf Magen, Darm, Leber, Galle und unterstützend bei Zuckerkrankheiten hat. Auf dieser Grundlage stellte die Gemeinde den Antrag, das Wasser des Getrudisbrunnens als Heilquelle anzuerkennen. Bürgermeister Robert Zech ließ auch ein geologisches Gutachten vom Amt für Bodenforschung in Wiesbaden erstellen. Außerdem beauftragte er das Hygienische Institut in Gießen, die hygienischen Verhältnisse zu untersuchen. Mit diesen drei Dokumenten ausgestattet erfolgte durch die Stadt Leun am 20.11.1981 der Antrag auf Anerkennung als Heilquelle. Am 28.9.1983 erschien im Staatsanzeiger für das Land Hessen auszugsweise folgende Mitteilung:

 

Gemäß § 40 Abs. 2 und 4 des Hessischen Wassergesetzes in der Fassung vom 12. Mai 1981wird der Gertrudisbrunnen der Stadt Leun (gelegen in der Gemarkung Biskirchen, Flur 2, Flurstück 262) als Heilquelle staatlich anerkannt.“

 

Nun ging es darum, eine Lösung für die maroden Gebäude zu finden. Als Ende September 1989 endlich der Erwerb des Betriebsgeländes und der Gebäude seitens der Stadt Leun vom Fürstlichen Haus unter Dach und Fach gebracht werden konnte, kam Bewegung in diese missliche Angelegenheit. Die Stadt Leun erwarb das gesamte Terrain und veräußerte es umgehend an den Unternehmer Adolf Hofmann aus Leun. Lediglich das Brunnenhäuschen blieb Eigentum der Stadt. Gerüchte, dass es abgerissen und in neuer Form wieder erstehen sollte, riefen die Einwohner auf den Plan. Bürgermeister Straßheim hatte aber vorher schon angekündigt, dass das Häuschen erhalten bleibt und eine Sanierung vorgesehen ist.

 

Adolf Hofmann ließ die anderen Brunnengebäude am 5. und 6. April 1990 abreißen und schuf mit dem Bau von imposanten Gebäuden in den Jahren 1990 - 1992 die Voraussetzung für ein modernes Kurzentrum, das aber schon 1995 in eine Spezialklinik für Parkinsonkranke umgewandelt wurde.

 

Der Abriss der Gebäude läutete eine neue Ära der Biskirchener Brunnenindustrie ein und bedeutete das endgültige Aus für die kommerzielle Nutzung des Gertrudisbrunnens.

März / April 1990: Das letzte gemeinsame Foto vor dem Abriss (Foto: M. Diehl)

5. April 1990: Der Bagger hat schon fleißige Arbeit geleistet.

Das Bornhäuschen (rechts) bleibt unberührt (Foto: M. Diehl)

Einsam und verlassen steht das Bornhäuschen da. (Foto: Willi Späth)

Rechts am Bildrand sind aber schon die Gebäude für das geplante Kurzentrum zu sehen (Foto: M. Diehl)

Auch für das Kutscherhaus sind die Tage gezählt. Am 9. Mai 1992 wurde es auch Opfer der Spitzhacke (Foto: M. Diehl)

Der Gebäudekomplex des ehemaligen Gertrudisbrunnens 1996, nach dem es 1995 als Parkinsonklinik  eröffnet worden war (Foto: Postkarte Verlag Drogerie Gehb, Leun)

Das Bornhäuschen schrieb aber weiter Gertrudisbrunnengeschichte. Im Rahmen des Dorferneuerungsprogramms wurden weitere Renovierungsarbeiten vorgenommen und die Außenanlage neu gestaltet. Später waren auch Reparaturarbeiten am Dach erforderlich. Das Häuschen mit dem fließenden Heilwasser blieb weiterhin ein Anziehungspunkt für Einheimische und Fremde, die bis in die Gegenwart das Wasser (im Volksmund „Born“ genannt) kostenlos zapfen können, und es kommt auch den Patienten der Gertrudis – Klinik zugute. Selbst die Fußballspieler gehen nach Spielende vom nahe gelegenen Sportplatz aus zum „Born“, um sich an dem erfrischenden Getränk zu laben. Die Wertigkeit dieses Quellenhäuschens kann man erst richtig ermessen, wenn man weiß, dass

  es wesentlich dazu beiträgt, dass Biskirchen das Prädikat „Staatlich anerkannter Erholungsort“ führen kann

  • das Wasser staatlich als „Heilquelle“ anerkannt ist
  • es bei der Vergabe der Goldmedaille im Bundeswettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ an Biskirchen eine besondere Rolle gespielt hat
  • es unter Denkmalschutz steht 
  • es als Geotop zum Nationalen Geopark Westerwald-Lahn-Taunus gehört

Die Biskirchener Bürger sind stolz auf ihr „Bornhäuschen“. Es ist für sie wie ein kleines Juwel und sie betrachten es als ihr Wahrzeichen. Es war wie ein kleiner Volksaufstand, als Anfang des Jahres 2014 bekannt wurde, dass der Magistrat das Bornhäuschen für lächerliche 35.000 € an die Gertrudis – Klinik verkaufen wollte. Das kommt einer Beleidigung dieses geschichtsträchtigen Gebäudes gleich. Innerhalb kürzester Zeit wurden über 700 Unterschriften gesammelt, die während einer Demonstrationsveranstaltung an den Bürgermeister und Stadtverordnetenvorsteher übergeben wurden. Nicht zuletzt durch diese Initiative der schnell gegründeten „Interessengemeinschaft Biskirchen“, die beabsichtigt, sich zu einem Förderverein zu konstituieren, nahm die Stadtverordnetenversammlung am 17. Juni 2014 diese Entscheidung wieder zurück.

Es ist der große Wunsch der Biskirchener Bürger, dass ihr Bornhäuschen seinen historischen Wert behält und unverändert im Besitz der Stadt Leun bleibt.

 

Quellen:

·         Matthias Diehl: Die Geschichte vom Kirchspiel Biskirchen, Bissenberg und Stockhausen 1994 (Seite 364 – 376).

·         Helmut ten Thoren: gleiches Buch Seite 186.

·         Heinrich Zutt: Die Geschichte vom Kirchspiel Biskirchen 1926 (Seite 124 – 127).

·         Geh. Hofrath Prof. Dr. Remigius Fresenius: Chemische Untersuchungen Gertrudis-Quelle (1890) und Gertrudis-Sprudel (1908).

·         Aktenbestand Archiv Heimatkundlicher Arbeitskreis.

·         Aufsatz Robert Zech 1992.

·         WNZ vom 4. 4. 1991.

·         Carla Regge: Mit dem Schlachtvieh durch den Wohnflur (1994).

 

Gerhard Scharf (Stand 21. 8. 2014)   (Mit Fotos: Stand 7.6.2015)